Wie begegne ich Abtreibungsgegnern?
Kennt ihr das Gefühl, die Chance verpasst zu haben, einen letzten knackigen Satz auszusprechen? Den einen Satz, den das Gegenüber nicht vergisst, ihn vielleicht umstimmt oder für euch einnimmt? Just passiert, resümiere ich, was ich einem Abtreibungsgegner hätte sagen können – weil der Feminismus diese ruhigen letzten Sätze so dringend braucht.
Ich fuhr in einer vollen U-Bahn, mein Mann saß neben mir. Ich erzählte ihm, dass mir der Account eines Freundes aktuell wenig angezeigt wird. „Das wird jetzt noch öfter passieren“, mischte sich ein freundlich aussehender und lächelnder Mann uns gegenüber ein. „Die sozialen Medien sortieren immer stärker aus.“ Eigentlich wollte ich Freizeit haben und nicht anderer Menschen Gedanken zu Algorithmen lauschen. Aber das Gegenüber schien nett. Eine Sekunde zu spät merkte ich, dass der Herr zu einer AfD-Erzählung ansetzte. Er bedauerte, dass YouTube-Videos zu alternativen Heilmethoden nun ständig gelöscht würden. Erklärte uns, dass Bill Gates daran schuld war, der übrigens die WHO mitfinanziere, und beide zusammen Planned Parenthood unterstützen. *
„Egal wer die finanziert“, sagte ich trocken, „die USA brauchen Planned Parenthood dringend.“ Der Mann grinste fies. „Planned Parenthood wurde 1910 gegründet, um die schwarze Weltbevölkerung zu dezimieren.“ Ein Argument, dass Abtreibungsgegner gerne nutzen, um den „Woken“ als Rassisten zu „entlarven.“ **
Geschockt darüber, dass ich dies nicht hatte kommen sehen, ging meine Pumpe von null auf hundert. „Stopp!“, sagte ich ruhig aber sehr klar. „Dies ist mein freier Tag und ich werde nicht mit dir in dieses Gespräch einsteigen. Das Gespräch ist hiermit beendet. Ich wünsche dir einen schönen Tag.“ Er lächelte süffisant, während ich mich wegdrehte. Er sah sich als Gewinner: Offensichtlich konnte ich ihm nichts auf sein Argument begegnen. Dass dies aus geschockter Wut, nicht aus Mangel an Konterargumenten geschah, konnte er ja nicht wissen. Und tatsächlich war mein Kopf komplett leer. Er hämmerte vor sich hin, mein Herz klopfte im Hals. Wir saßen uns noch einige Zeit gegenüber, mein Mann drückte meine Hand, um Unterstützung zu signalisieren.
Ich schaffte es, mit kühler Miene aus dem Abteil zu gehen, der Mann folgte uns, nahm die gleiche Rolltreppe. Als er außer Sichtweite war, drückte ich mich an meinen Mann und heulte. Ich bin die Person, die Emotionsregulierung im Feminismus fordert. Die meint, wir müssten im Gespräch bleiben. Unsere Sichtweisen erklären, diplomatisch sein. Ich fühlte mich nicht nur als Versagerin und Verräterin meiner eigenen Maxime, ich war verängstigt und deshalb sauwütend. Alle “Pro-Life”-Kommentare im Netz, die gesammelte erlebte maskuline Bedrohung in elf Jahren feministischer Pressearbeit, hatten mir für einige Minuten lebendig gegenübergesessen. Das war kein Irrer, den man bedauern und dann löschen konnte. Das war ein hocheloquenter Antifeminist, der mit Charme in U-Bahnen Gespräche anbahnte.
„Du hast cool gehandelt“, sagte mein Mann, „wie willst du auch in der U-Bahn in ein vernünftiges Gespräch einsteigen?“ Er hatte ja Recht, vor allem, weil ich nicht vorbereitet gewesen war. Aber gab es einen Satz, den ich zum Abschluss hätte sagen können? Der nachgeklungen und gewirkt hätte? Einen Satz, den ich eingeleitet hätte mit „Bevor ich aussteige, möchte ich dir etwas zum Nachdenken mitgeben.“ – der musste doch zu formulieren sein!
Im Nachklang kamen einige Ideen:
„In Kanada hat die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu keinem Anstieg der Menge von Schwangerschaftsabbrüchen geführt, nur zu mehr Sicherheit. Das wäre doch in deinem Sinne? Denn abgetrieben wird eh,ob du es willst, oder nicht.”
oder
„Schwangerschaftsabbrüche gab es schon immer, und werden nicht mehr, sondern eher weniger, wenn es Beratungsstellen gibt. Der Unterschied ist heute nur, dass Frauen die Abbrüche überleben. Das macht also mehr anstatt weniger Menschen auf der Welt. Soweit zur Dezimierung der Weltbevölkerung.“
oder
„Möchtest du wirklich, dass Frauen, die du liebst – Tochter, Mutter, Schwester, Freundinnen – gezwungen werden, Kinder auszutragen, die sie aus Gründen, die sie selbst bestimmen, nicht adäquat versorgen können? Kannst du dir nur annähernd die Auswirkungen auf dein und das Leben des Kindes vorstellen, wenn du dazu gezwungen wirst?“
oder
„Es tut mir leid, wenn eine Ex-Freundin eine Schwangerschaft abgebrochen hat und du gerne Vater geworden wärest. Aber Frauen tragen die Konsequenzen und die Verantwortung, es ist ihre Entscheidung, ihr Leben, ihr Körper. Das mag hart zu akzeptieren sein, das tut mir leid.“
oder
„Die Vorstellung, dass Frauen Gebärmaschinen sein sollten, entspringt dem Nationalsozialismus. Der hat auch 5 Millionen Männer als Kanonenfutter in den Tod getrieben. Du möchtest doch auch lieber frei und selbstbestimmt leben?“
Habt ihr noch weitere Sätze? Welcher ist am besten? Ich lerne sie auswendig, für das nächste Mal, dass mir ein Q-Anon, AfD, Trump oder Höcke-Fan begegnet.*** Bis dahin atme ich tief, versuche Wut abzubauen und zu verstehen, was Menschen dazu bringt, sich in rechtsradikale Blasen einlullen zu lassen. So viel zu Algorithmen: Dem Herrn wurden wohl eher zu viele als zu wenig Posts einer sehr einseitigen Weltsicht angezeigt. So schlimm kann das also mit Bill Gates Internetkontrolle nicht sein. Bleibt im Gespräch, um diese Menschen nicht weiter in Blasen reinzutreiben, in denen sie sich einmauern und ständig weiter radikalisieren. Reicht die Hand, atmet Wut weg und heult die Tränen dazu zwischendurch raus. Weil es anders nicht gehen wird – wir müssen reden. Immer, und immer wieder.
*Planned Parenthood ist das Pendant zu pro famlia in Deutschland, eine Beratungsstelle für Familienplanung, Sexualität und Schwangerschaftsabbruch.
** Tatsächlich konzentrierte sich Planned Parenthood in seinen Anfängen darauf, Verhütungsmethoden in Schwarzen Communities zu verbreiten. Ob aus emanzipatorischen oder rassistischen Motiven ist umstritten. Heute, über 100 Jahre später, distanziert sich Planned Parenthood klar von jeglichem Rassismus. Siehe https://de.catholicnewsagency.com/news/6573/kanye-west-planned-parenthood-ist-rassistisch-und-damonisch, https://taz.de/Debatte-Spaetabtreibung/!5163154/
*** Rechtsradikale sehen Abtreibung als „jüdische Weltverschwörung“. Dahinter steht die Vorstellung, Feminist:innen wollten die „arische Rasse“ ausrotten um einer „multikulturellen“ oder jüdischen Weltbevölkerung Platz zu machen. Somit sei der Feminismus Instrument des Weltjudentums. Ich stand dementsprechend lange als „Judas“ mit auf der rechten Webseite „Judas Watch List“, die inzwischen gelöscht ist.