Emotionsregulierung im Feminismus

Ich vernehme im Feminismus vermehrt Zweifel, ob mit Diplomatie das Patriarchat noch zu beenden sei. Als sei Hopfen und Malz verloren, was Sexismus und Rassismus anginge: Als höre das nie auf, wenn man sich nicht aktiv zur Wehr setze. Also mit gereckter feministischer Faust jeden alten weißen Mann in die Schranken weise.

 

Ich sehe das mittlerweile anders. Wir haben, so meine ich, einen Zenit überschritten, an dem wir unglaublich vorsichtig vorgehen müssen, damit wir nicht den größten feministischen Backlash erleben, den es je gab. Wenn die AfD legislative Macht erhält, drehen wir uns rückwärts: Keine Schwangerschaftsabbrüche, Krippen, Ganztages-Kitas, Quoten, Aufstiegschancen. Das Verbot von Gendersprache wäre da am harmlosesten.

 

Manche Zuhörer:innen meiner Vorträge werden wütend, wenn ich das äußere. Das verstehe ich. Es ist ja nicht so, als ob ich geborene Pazifistin wäre. Oder dem Taxifahrer, der mich gestern auf der Schnellstraße anbaggerte, nicht lieber einem gezielten Tritt in die Eier verpasst hätte. Aber ich hätte schlecht aus dem Auto springen können und es gab viele Feldwege, in die er hätte abbiegen können. Ich blieb ruhig und harmlos, bis ich am Ziel war. Er hatte mehr Macht und ich wollte etwas: Unversehrt bleiben. Das Gendern mal zu lassen, wenn ich einem Geschäftsführer erstmal freundlich für die Problematik sexistischen Marketings sensibilisieren will, ist da ein Kinderspiel. Taktik sind wir Frauen gewohnt. Auch wenn sie nervt, schmerzt und immer wieder viel tiefen Atem braucht.

 

Als ich letzte Woche auf der re:publica über mein neues Buch „Jedem Zauber…“ sprach, fragte mich jemand nach konkreten Tipps, wie Gendergegner erreicht werden können. Immerhin war am Abend zuvor die neue „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung erschienen, die besagt, dass wir mittlerweile 8% Rechtsradikale im Land haben – dreimal so viele wie noch vor zwei Jahren. Das macht gehörig Angst, da müsse man doch was tun. Wenn einer doch nicht immer so die Pumpe vor Wut gehen würde, wenn man mit Gendergegnern spreche!

 

Dass man Menschen, die das Parteiprogramm der AfD gelesen und verstanden haben und sie trotzdem wählen würden, noch erreichen kann, bezweifle auch ich. Aber von den 20%, die aktuell angeben die AfD zu favorisieren, sind das hoffentlich nur wenige. Die vielen Protestwähler hingegen, oder Menschen, die „nur“ die Schnauze voll vom „Gendergaga“ der Ampel haben, kann man sehr wohl noch aufklären. Das zeigen mir die Vorträge und Lesungen, die ich aktuell eher vor älterem Publikum gebe, und die Kommentare, die ich hinterher bekomme: „Hmm, das mit dem Gendern, das fand ich vorher grauenhaft und verstehe es jetzt besser. Ich nehme mal ihr Buch mit.“, oder „Ach, dass Geschlecht so kompliziert ist, das war mir überhaupt nicht klar. Das war jetzt wirklich interessant.“

 

Das sind in einer Zuhörerschaft vielleicht immer nur 20%, aber es gibt diese Stimmen. Ich schreibe das, weil ich es dringlich wichtig finde, zu verkünden, dass „Die kann man doch eh nicht erreichen!“ nicht stimmt. Ich würde, anstatt diese Menschen freundlich zu bequatschen, selbstironisch, nett angezogen und geschminkt, auch lieber meine Wut raushauen, dass wir §218 noch nicht aus dem Strafgesetzbuch entfernt haben. Dass wir 50% weniger Schwangerschaftsabbruchpraxen haben als noch vor 20 Jahren. Dass wir eine Rentenschere von 60% verbuchen und Altersarmut weiblich ist. Dass die Pharmaindustrie jetzt wieder auf Hormonforschung setzt, anstatt dass konsequent eine Wirtschaft etabliert wird, in der gebärfähige Menschen mit hormonellen Zyklen mitgedacht werden. Dass Gewalt gegen Frauen wieder ansteigt und gegen LGBT+ noch dazu. Ich möchte Männer, die mich belächeln, am liebsten arrogant ignorieren und Pro-Life-Supporter, mit denen ich diskutiere, eiskalt anstarren.

 

Das tue ich aber nicht, und ja, das bedarf Beherrschung. Es gibt einen Raum zwischen Reiz und Reaktion, wie Viktor Frankl schon so schön sagte. Lässt sich leicht sagen?  Aber was ist die Alternative? Nach ca. 15 Jahren Netzfeminismus haben wir einiges erreicht, aber mindestens so viele Rückschritte zu verzeichnen. Unsere Erfolge sind vorrangig in urbanen, akademisierten Blasen zu bezeugen. Die Rückschritte dort, wo wir nicht analog und auf Augenhöhe mit Menschen gesprochen haben, auf die wir, ehrlich gesagt, auch nie Bock hatten. Im Ländle, im Handwerk, im Sportverein, in der Kleinstadt, im Osten. Und deshalb, Verzeihung, geht mir manchmal das feministische sich-gegenseitig-Hochschaukeln so auf die Eier.

 

„Mit denen reden wir nicht“, „Das ist nicht verhandelbar“, „Schon die Frage ist diskriminierend“…Ich höre diese Sätze in der jüngeren Generation gerade viel. Und sie machen mir richtig doll Sorgen. Wenn wir bei jedem Wort, das nicht unserem aktuellen feministischen Standard entspricht, auf die Palme gehen, wenn wir bei jedem Kontern „Trigger!“ schreien, werden wir langfristig die Verlierer:innen sein. Das ist meine Erfahrung aus 12 Jahren Netzfeminismus. Wenn wir nicht unsere eigenen Traumata angehen, um handlungsfähig zu sein, wenn wir nicht tief ausatmen und uns eine gegenteilige Meinung eher anschauen wie eine fremde Kultur, die wir studieren möchten, kommen wir nur schwer voran. Vielleicht brauchen wir so etwas wie eine feministische Therapie für jene, die vor Wut und Verletzung jedes Mal das Gespräch beenden, bevor es begonnen hat. Auf jeden Fall für jene, die gerne im Gespräch bleiben würden. Und ich bin nicht generell gegen Contentwarnungen, überhaupt nicht. Aber für mehr Strategien für jene, die sich von ihren Verletzungen nicht zurückhalten lassen wollen. Uns fehlt ein feministisches “So schaffst du es, ohne Verletzung im Gespräch zu bleiben”, das nicht gleich wieder als neues Dogma aufgefasst wird.

 

Denn nicht jede:r muss oder kann freundlich und diplomatisch feministisch aktiv sein. Radikale Wut ist der Impuls für Veränderung, und wir müssen auch mit harten Kanten in unserer Gesellschaft leben. Es muss aber noch viel mehr Aktive geben, die langmütig arbeiten, geschickt in Storytelling und Marketing für den Feminismus sind. Ich lerne diese Monate viele Gleichstellungsbeauftragte kennen, die genau dies tun: Feminismus verkaufen. Mit Lächeln, Zuhören und von Tür zu Tür. Und dafür wollte ich einmal danke sagen, das hören die nämlich nicht oft. Weil sie tun, was aktuell dringend wichtig ist: Nicht nur zu fordern, sondern geschickt zu überzeugen. Auf diese Diplomatie sind wir angewiesen.

 

 

PS: Mein aktuelles Buch kannst du hier kaufen: „Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne: Warum ein bisschen Genderwahn uns guttut.“, Kösel, Random House, 2023