Gibt es ein Woketoberfest?

Zum diesjährigen Oktoberfest sollen sexistische und rassistische Motive auf den Fahrgeschäften verschwinden. Das wäre großartig – aber wie setzt man das um?

 

Ein Schwarzer Mann lüftet lüstern blickend einer Dirndl-Trägerin den Rock und legt ihren blanken Hintern frei. Mehrere weiße Männer in bayrischer Tracht trinken dazu lachend ein Bierchen. Solche und andere altbacken sexistische und rassistische Motive sind wir von den Fronten der Fahrgeschäfte auf den Jahrmärkten gewohnt. Wieso eigentlich? Aus zwei ganz einfachen Gründen.

 

Lackmalereien halten ewig

 

Dass wir auf Jahrmärkten schnell unsere Lieblingsfahrgeschäfte wiederfinden, liegt daran, dass ihr Dekor seit Jahrzehnten nicht kostspielig renoviert und unseren heutigen Werten angepasst wurde. Die gespritzten oder lackierten Malereien kosten viel Geld. Wir erinnern uns: In der Pandemie durften diese Buden jahrelang nicht aufgebaut werden, ein eh schon prekäres Gewerbe war finanziell bedroht. Umlackieren hatte da keine Priorität.

 

Zudem weiß nicht einmal der Münchner Wies’n-Chef, CSU-Politiker und Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner, was Sexismus und Rassismus eigentlich sind. Und damit ist er ja nun mal nicht alleine. 30 Jahre lang hätten diese Bilder niemanden interessiert, verkündete er und versteht nicht, warum sie nun über Nacht verschwinden sollen. Die grüne Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden hat ihnen vor einigen Tagen den Kampf angesagt, zu Recht: „Ich will nicht, dass unsere Gäste hier mit rassistischen Motiven konfrontiert werden.“ Auch gegen Sexismus will sie streng vorgehen. Aber wie erklärt man das jenen, die das „prüde“ und „überzogen“ finden? Sind Verbote da hilfreich?

 

Sensibilisieren und mitnehmen

 

Ich hoffe sehr, dass man vorhandene Kompetenzen nutzt, um alle mit ins Boot zu holen. Denn mit mit ad-hoc-Verboten der Union, AfD und FDP eine Steilvorlage für Kritik zu bieten – will man das? Bringt uns das weiter oder steigert es nur die schon jetzt enorme Zahl an Antifeministen im Land?

Jungkreative in Werbeagenturen, Hochschulen und Textschmieden würden sich freuen, ansprechende neue Motive gestalten zu dürfen, die insbesondere junge Leute in die Festwiesen-Fahrten lockt. Dafür medial gefeiert zu werden und Preise der Stadt München zu erhalten, würde sie motivieren. Auch renommierte Agenturen könnten sich hier mit Unterstützung Ansehen verschaffen. Was die Debatte zum Verbot im Münchner Landtag an Zeit und Geld frisst, wäre besser in Preisgelder für junge Kreative und talentierte Sprayer oder Maler:innen investiert. Dazu noch ein-zwei nette Genderberater:innen, die niedrigschwellig und mit viel Humor in geselligen Abendrunden – meinetwegen mit veganer Weißwurst – mit der Schausteller-Community erörtert, wo das Problem liegt: So entsteht Gemeinschaft, gemeinschaftliches Lernen und Verbesserung. Hart arbeitenden Schaustellern ein Verbot überzustülpen, ohne sich im Vorweg um Verständigung und Finanzierung zu bemühen, wäre ein Fehler, der nach hinten losgeht.

Kurz, bevor ich diesen Text posten wollte, erschien ein Instagram-Eintrag von Katrin Habenschaden, die finanzielle Unterstützung fürs Umlackieren ankündigt: Ein lobenswertes Signal!

 

Nicht alle sexistisch Werbenden sind böse

 

Schon oft erlebte ich auf meinen Veranstaltungen, wie Herren mir gegenüber vor oder beim Vortrag sagten: „Aber ich fühle mich gar nicht diskriminiert, wenn da eine Halbnackte auf einem Werbeplakat zu sehen ist!“ Das kann eine brüskieren, oder man kann es rührend komisch finden, die Ärmel hochkrempeln und eine Sprache finden, die es ihm erklärt. Wenn der Mann dann nach dem Vortrag zu mir erstaunt sagt: „Oh je, da hab‘ ich wohl noch was zu lernen. Das alles war mir nicht klar!“, ist viel gewonnen. Sicher sind einige – Markus Söder? – unbelehrbar. Andere hingegen muss man nur erläutern, warum es ein Problem ist, wenn wir Frauen für jeden Werbezweck sexualisieren.

Gerne erkläre ich immer anhand der Werbung für die Dating-Platform C-Date, warum sexy nicht immer gleich sexistisch ist. Während in Hamburg die junge Frau Lust auf etwas Neues hat, was völlig legitim ist, scheint sie in München zum Oktoberfest für alle zu haben zu sein: Wie das Mädchen im Dirndl, deren Rock hochgezogen wird. Das ist ein feiner Unterschied, gerade zum Oktoberfest, auf dem sexualisierte Gewalt gehäuft auftritt.

 

C-Date Werbung 2021 in Hamburg und in München

 

Auch auf neuen Motiven können sich Menschen gegenseitig begehren und sich an Schnelligkeit, Würsten und Süßem berauschen – warum nicht? Einen 70er-Jahre Sexismus will aber kaum jemand noch sehen – außer vielleicht alte weiße Herren, die eh keine 10 Euro mehr für den Superspin ausgeben, weil das Toupé wegfliegen oder das Herz ins Stolpern geraten könnte. Ich bin sicher: Die großartigen Kreativen, die mit mir 2021 für eine Aktion der Stadt Hamburg und Pinkstinks sexistische Werbung umarbeiteten, hätten auch an neuen Jahrmarktmotiven großen Spaß. Die freuen sich bestimmt über eine Anfrage.

 

Foto: Thankyou sept commercial / Unsplash