Der feministische Kardashian

Bashen bringt Spaß, keine Frage. Und klar ist Prinz Harry eitel, ziemlich naiv und hat in seiner Biografie „Spare“, die vor einer Woche erschien, einige grobe Fehler gemacht. Schlau war das wirklich nicht, zu sagen, wie viele Taliban er im Kampf erschossen hat und vielleicht hätte er nicht ganz so viel über sein Genital schreiben sollen. Trotzdem verstehe ich nicht, warum auf Harry so geschimpft wird: Was er und seine Frau Meghan für uns leisten, tut doch sonst niemand. Ich vergöttere ja Anja Rützel, die Kommentarikone von Spiegel Online, für ihre legendären Verrisse von Germanys Next Topmodel. Aber jetzt echauffiert sie sich, dass Harrys zu dumm sei, William Faulkner zu kennen und ständig über seinen Penis spreche. Ist das nicht etwas billig? Sich von Bildungsbürger-Seite über Harry zu erheben, ist pipieinfach. Bei seiner Hochzeit waren keine Philosophen, sondern die Beckhams zugegen.

 

Dabei könnte man doch feiern: Dass ein royales Paar ihren Ausstieg aus der „Firma“ nutzt, um über Rassismus und Feminismus zu reden, über mentale Gesundheit und die Mechanismen der Presse, mit Hass Geld zu machen. In ihrer Netflix-Dokumentation analysieren sie haarscharf, wie Rassismus auch ganz ohne N-Wort funktioniert, wie er täglich medial von Schlagzeilen oder Vermutungen reproduziert wird. Sie erklären, wie tief Rassismus noch in der britischen Kultur steckt und wie wenig Interesse der Palast hatte, Meghan gegen ihn zu schützen. Sie zeigen welch traditionelles Frauenbild vom Palast gefordert wird und wie wenig „die Firma“ seit dem Tod von Prinzessin Diana gelernt hat. Alle Erkenntnisse, die in Meghan und Harrys Doku stecken, könnten nicht nur die Monarchie und Großbritannien modernisieren, sie weckt all jene auf, die einfach nur Interesse an royalem Klatsch oder Harrys Penis haben und beim Fernsehen nebenbei einiges über ihre eigenen unbewussten Vorurteile lernen. Aber: Die beiden bekommen eine Millionengage für die Dokumentation! Und ehrlich? So what! Sie machen einen super Job mit dieser Aufklärungsarbeit, und privates Leben und Reisen sowie Sicherheitskräfte sind teuer. Die Frage ist eher: Warum, um Gottes Willen, gönnt ihnen das niemand?

 

Die Dokumentation alleine reicht für mich, um Harry in den Schutz vor Kritik zu nehmen, selbst, ohne sein Buch gelesen zu haben. Rützels Kritik an „Spare“ ist ähnlich der an der Dokumentation: Wieso wird man öffentlich so laut, wenn man sich eigentlich ins Private zurückziehen wollte? Das ist doch einfach beantwortet: Weil der Graf und die Gräfin von Sussex nie gesagt haben, dass man von ihnen nichts mehr hören würde, sondern, dass sie nicht mehr für die Firma Windsor tätig sein und aus England rauswollen. Weil die Welt wissen sollte, wie krank und hetzerisch die britischen Medien sind, und wenn Meghan nicht gegen Daily Mail etc. klagt und gewinnt, wer dann? Irgendwer muss es doch tun. Und sie tun es. Harrys Motivation, seine feministische Frau gegen Diskriminierung zu schützen, finde ich überzeugend – ob das viel Kohle macht oder nicht. Es ist mir auch völlig wurscht, ob er einen Mutterkomplex hat und in Meghan Diana sieht: Wer hätte das nicht, mit seiner Geschichte? Lasst die beiden so viel Geld machen, wie sie wollen, es ist jeden Cent wert. Wenn Celebrities aufklären, ist es die erfolgreichste Aufklärung überhaupt. Hollywood brachte uns #MeToo, erinnert ihr euch? Wenn “H” und “M” nun intersektionalen Feminismus verbreiten, bin ich voll dafür.

 

Bild: Cover vom Spiegel vom 7.1.2023