Darf ich Barbie doof finden?

Darf man das überhaupt? Darf man Barbie, die innerhalb der letzten Wochen zur feministischen Ikone mutierte, noch „Plastikpuppe“ nennen? Ist das nicht frauenfeindlich? Meine Prognose: Über den Film „Barbie“ werden sehr bald die ersten Bachelor- und Master-Arbeiten geschrieben, denn die vielen Knoten im Hirn, die er hinterlässt, müssen gelöst werden. Aber möchte jemand überhaupt noch meine Meinung zu „Barbie“ hören, nachdem unsere Timelines während meines Urlaubs quietschpink vor Filmrezensionen waren? Mein Resümee gibt es auch längst: Ich stimme voll und ganz Virgie Tovars Artikel im Forbes-Magazin zu, die es am knackigsten zusammenfasst. Die Überschrift allein beantwortet die Frage, warum man nach viel Spaß an pinken Witzen, Ausstattung und Animation den Kinosaal mit einer zu-viel-Zuckerwatte-gegessen-Übelkeit und dem Gefühl verlässt, irgendwo verarscht worden zu sein. Nach so viel Entertainment und genialen Headlines („I am Kenough!“) dachte nämlich auch ich: Zeigt der Film Männern nicht sehr clever, wie Frauen sich in dieser Welt fühlen? Zeigt er nicht auf, wie viel Druck auf ihnen lastet, und was der Ausweg sein könnte: Dass Frauen sich gegenseitig unterstützen, sich akzeptieren, wie sie sind, und nicht noch mehr voneinander und sich selbst fordern?

 

Dazu sagt Tovar einfach nur: „Im neuen Barbie-Film ist ein Loch so groß wie ein Körperbild.“ Ach klar! Das war es!

 

Genau weil der Film so viel gute Laune macht, ist es schwer, Spielverderber zu sein und zu mahnen, dass der Film sehr geschickt mit einem pinken, wortgewandten Feuerwerk vom Haupt-Barbie-Problem ablenkt. Davon, dass die stereotype und meistverkaufte Barbiepuppe Studien zufolge seit Jahrzehnten verantwortlich für Essstörungen und ein geringes Selbstwertgefühl von Mädchen ist. Dieser Fakt wird erfolgreich hinter all ihrem feministischen Engagement im Film verdeckt. Wie geht das?

 

Im Film rettet Barbie zwei Frauen of Colour vor dem Unglücklichsein, bekämpft das Patriarchat, ist von Herzen Feministin und lebt mit ihren sehr diversen Barbie-Freundinnen in einer Welt, in der Frauen Präsidentinnen und Bauarbeiterinnen sind. Wir lernen: Es sind wir bösen Menschen, die Frauen stets bewerten („Darf die Feministin sein? Tut sie auch genug?“), mehr von ihnen fordern, unsere patriarchale Welt auf sie projizieren. Wir sind es, die Barbie unter Druck setzen: mit Anforderungen, unter denen Barbie, als sie in diese menschliche Welt eintaucht, Depressionen bekommt. Sie sollte vielmehr leisten, als „nur“ die stereotype Barbie zu sein! So wird das Gesamtproblem, das eine zig-millionenfach verkaufte Puppe kreiert, auf die Schultern eines einzelnen, menschlich wirkenden Individuums geladen. Klar ist das unfair! Arme Barbie. Sie „will“ doch niemanden schaden! Sie „will“ etwas ganz anderes!

 

Dass Barbie eine nach patriarchalen Marketingregeln geschaffene Puppe ist, die nicht selbst denken kann, ist das eine. Dass Mattel einen großartig amüsanten Film geschaffen hat, das andere. Ich war mit vier jungen Frauen zwischen 16 und 23 Jahren im Kino und habe selbst am lautesten gelacht. Als die kleinen braven Mädchen in der Anfangsszene ihre Baby-Puppen brutal am Felsen zertrümmern und begeistert zu einer monumentalen und gewitzt blinzelnden, sexy 60er-Jahre-Barbie aufschauen, lüpfte ich vor Bewunderung vor Mattel den Hut. Was ich in allen Interviewanfragen vorab vorausgesagt hatte, machten die Barbie-Macher auf höchstem Niveau: Die Inszenierung vieler kleiner Tabubrüche als radikale Marketing-Strategie. Der Schock über die kindliche Aggression lässt einen laut losprusten. Männer, die in einer Barbie-Welt so denken, wie Frauen es normalerweise tun: Superwoke. Und das von Mattel? Großartig!

 

Ist Barbie also feministisch? Eins ist sicher: Sie facht die „Wokeness-Wars“ in den USA und UK gerade so ungünstig an, dass man sich fragt, was für uns davon an Feminismus übrigbleibt. Mattel wird massiven Zulauf in einer jungen Mütter- und Väterblase bekommen, die Barbie nun für ihre Kinder kaufen, denn, hey: Barbie ist ja gar nicht böse! Während wir im Feminismus die Scherben aufsammeln können. Schon bekomme ich Anfragen auch aus Deutschland, ob „Barbie“ nicht doch männerfeindlich sei. Nein, natürlich nicht. Die Barbie-Welt, in der Männern nur „ab und zu“ ein Männerabend erlaubt wird, ist reine Fantasie. Übrig bleibt ein Milliardengewinn für Mattel und das Fazit: Barbie darf ruhig weiter skinny und unrealistisch bleiben, denn: Barbie ist Margot Robbie. Und die ist einfach hinreißend und will nichts Böses.

 

Den wirklichen Oskar hat aber, finde ich, Ryan Gosling in seiner Wandlungsfähigkeit zwischen Frauenfreund und Macho im Film verdient – und natürlich die Ausstattung des Films. Den sollen sie auch bekommen: Denn Kunst ist Kunst. Die kommt ja bekannterweise von „können“ und nicht, von „feministisch sein“.

 

Foto: Danke an Meghan Hessler / Unsplash!