Pandemische Rabenmutter

In der Pandemie wird es mehr als deutlich: Kinder und Mütter haben in Deutschland nichts zu melden. Hallo, wann machen die Kantinen in den Schulen wieder auf? Kann mein Kind im Ganztag bitte was zu essen bekommen? Alles Luxusprobleme? Ist Stevie sehr egal: Als Britin findet sie die Deutschen mehr als merkwürdig.

 

Ich bin oft genug „Wutmutter“ genannt wurden, dass ich mich nicht schäme, das Klischee heute ausufernd zu bedienen. Zerreißt mich auf Twitter, aber ich habe die Schnauze so was von gestrichen voll. Nachdem meine Kinder seit 19 langen Monaten im Lockdown oder in der Schule kein warmes Essen bekommen haben, stehe ich nun neuerdings abends in der Küche und koche simple Gerichte vor, die morgens in die Mikrowelle und dann in Thermo-Tupperware gefüllt werden. Damit meine Mäuse nicht mehr ganz so bleich und schlechtgelaunt aussehen und in der Schule etwas Warmes bekommen. Nein, ich singe dabei keine Mantren und lächele mütterlich beseelt. Ich fluche sehr laut und frage mich, warum der bekloppte Staat das nicht für mich übernimmt.

 

Ihr seht schon, ich habe richtig Bock auf Beef. „Vorkochen? Spinnt die Helikoptermutti? Wir haben noch nicht mal Ganztagsschule bei uns im Landkreis!“ Bitte, her mit der Kritik! Wisst ihr was? In Großbritannien oder Frankreich würden arbeitende Eltern auf die Straße gehen, wenn ihre Kinder in der Schule nicht gefüttert würden. In England gibt es abends maximal noch „Tea“, das ist ein einfaches Abendbrot, bei der vielleicht noch eine Dose Spaghetti aufgemacht oder ein Fertigpudding angerührt werden muss. Warum? Weil die Kinder in der Schule warmes Essen hatten. Okay, das ist nicht immer hochwertig und es brauchte vor einem Jahrzehnt einen Jamie Olivier, der mit einer Medienkampagne da etwas Vitamine reinbrachte. Aber immerhin kommen die Kinder mit gebackenen Bohnen und Kartoffelbrei besser durch den Tag als mit Käsebroten. Ha, aber hier scheiden sich eben die Geister. Als ich auf meinen privaten Facebook-Account neulich fragte, ob jemand Ideen hätte, was man den Kindern – ohne vorkochen zu müssen – für einen langen Schultag in die Brotdose packen könnte, sagte eine Aktivistin von oben herab: „Wieso reicht kein Käsebrot?“ Das ist der deutsche Stolz des Understatements. Ich hasse ihn. „Unsere Eltern / Großeltern haben den Krieg erlebt / verschuldet! Jetzt komm nicht mit warmen Mittagessen! Ein bisschen Graubrot und Apfelschnitze reichen bis 16 Uhr! Und du kannst dich ja wohl nach der Arbeit an den Herd stellen und was kochen, du Rabenmutter!“

 

So sagt das niemand, ich weiß, aber in keinem Land Europas waren die Kinder in der Pandemie so schlecht dran wie in Deutschland (und in Deutschland nirgendwo so schlecht wie in Hamburg). Auf jeden Fall nicht so lange. Studien bestätigen, was ich in meinem Umfeld zu Hauf mitbekomme: Psychische Langzeitschäden und Schulversagen unter Jugendlichen. Bildungslücken, die die letzten Jahre bis zum Abschluss zur Hölle machen. Während sich niemand am Arbeitsplatz testen musste waren die Kinder monatelang zu Hause und versanken im passiven Medienkonsum, von dem sich einige – nach der Gewöhnung in dieser prägenden Zeit – vielleicht nie wieder erholen werden. Ich wohne in einem der kinderreichsten Stadtteile Deutschlands und könnte täglich kotzen, wie diese Problematik immer noch verharmlost wird und von großen Medien wie dem Spiegel erst thematisiert wurde, als die Schulen wieder öffneten. Jetzt, obwohl sich unter Kinder und Jugendlichen alle diejenigen impfen lassen können, die Risikogruppe sind, müssen sich Kinder seit gestern vom RKI anhören, dass vielleicht Distanzunterricht kommt – oder sogar Schulschließungen. Kinder, die nichts mehr fürchten, als nach Weihnachten nicht in die Schule zurück zu dürfen, weil sie panische Angst vor einer Wiederkehr der Depressionen haben.

 

Wir haben unsere Ü12 Kinder brav impfen lassen, damit sie überhaupt an Schule (weniger Quarantäne), kulturellen Aktivitäten, Vereinssport und Restaurantbesuchen teilhaben können. Die meisten von uns haben ihre Kinder nicht aus Angst geimpft, sondern aufgrund politischen und gesellschaftlichen Drucks. Ein Land, das mir nicht garantiert, dass meine Kinder psychisch geschützt werden und im Ganztagsbetrieb ein warmes Mittagessen bekommen, habe ich meine Töchter als Pandemie-Schutzwall zur Verfügung gestellt. Dafür fordere ich jetzt „Kinder und Jugendliche first!“.

 

Und, meine Güte, wie schwer kann das sein? Wenn in der Kantine die Kohorten-Trennung und die Abstände nicht eingehalten werden können, holen sich die Kids halt einen Teller raus und essen im Klassenraum. Nur, dass da per Schulgesetz nicht gegessen werden darf. Auch das, entschuldigt, macht mich wieder so fassungslos. Wir können Grundrechte und Staatsschulden jonglieren aber keine pandemische Ausnahme bei Königsberger Klopsen am Schultisch zulassen? Hackt’s?

Gesagt haben möchte ich es einmal laut: Die spinnen, die Deutschen.

 

Kochlöffel schwingenden Gruß!

Eure Stevie

 

PS: Natürlich sind Väter und nichtbinäre Eltern von dieser Situation ebenso betroffen. Nur sind es leider nach wie vor eher die Mütter, die sorgen. Und alleinerziehende Eltern, die am ehesten Mütter sind, sind am meisten betroffen von dieser Situation.