Gibt es Antisemitismus im Feminismus?

Als Fridays for Future International (FFF) die Welt mit antisemitischen Posts schockte, war ich nicht überrascht. Schon lange sorgen mich linksradikale Tendenzen im intersektionalen Queer-Feminismus, zu dem ich FFF zähle. FFF ist vorrangig eine junge Umweltorganisation, aber viele Mitglieder positionieren sich auch queer-feministisch, und das ist gut so. Sie sprechen sich neben Klimaschutz auch breit für Feminismus, LGBT+-Rechte und gegen Rassismus aus, weil Nachhaltigkeit auf allen Ebenen gedacht wird – und dazu gehört auch die Ermächtigung von Minderheiten. Dass koloniale und patriarchale Herrschaftssysteme Umweltzerstörung und die Unterdrückung von nachhaltig wirtschaftenden Minderheiten mit sich bringen, erklärte schon Alexander von Humboldt vor zweihundert Jahren. Die Postcolonial Studies führten diese Kritik fort. Dass eine Greta die in diesem Fahrwasser oft transportierten marxistischen Erzählung einer die Welt kolonisierenden jüdischen Verschwörung verfällt, ist supertraurig. Aber leider überhaupt keine Seltenheit.

 

Postcolonial Studies auf Tiktok

 

Im Rahmen meines kulturwissenschaftlichen Studiums in London der 1990er Jahre las auch ich Postcolonial Studies. Postcolonial und Gender Studies gehören zusammen, weil ein intersektionaler Feminismus nicht nur die Unterdrückung von Frauen, sondern auch die Unterdrückung von Frauen of Colour und Schwarzen Frauen mitdenken und verstehen sollte. Wir lasen Said, Spivak und andere postkoloniale Literatur, wir lasen Kritik daran und wir übten uns in Debatte. Wir lasen auch Philosophie von Hegel bis Foucault und übten uns darin, Diskursanalyse zu betreiben. „Diskurse“ kann man für den oder die Tiktok-abhängigen Jugendlichen auch als „Storytelling“ oder „Framing“ übersetzen.

 

Als solches lernt man auch wachsam zu bleiben. Sich zu erinnern, dass zum Beispiel schon Marx und Lenin antisemitisch dachten und Stalin antisemitisch handelte (also lange bevor eine rechtsradikale Regierung unter Netanyahu existierte). Dass spätestens seit den späten 1960er Jahren in der Linken Theorien verbreitet wurden, die „den Juden“ als einen mit dem globalen Finanzwesen und weißem Herrschaftsdiskurs verhafteten Kolonisatoren darstellen. Was nicht heißt, dass Marx nicht auch wichtige Analysen hervorgebracht hat. Auch nicht, dass man nicht in evangelische Kirchen gehen darf, weil Martin Luther Antisemit war. Im besten Sinne befähigt man sich durch differenziertes Lesen und Denken dazu, Dinge auseinanderzuhalten.

 

Diese Differenzierung scheint an manchen amerikanischen Universitäten inzwischen verschütt gegangen zu sein. Ein Narrativ des bösen Israeli ging um die Welt und verbreitete sich in der Generation Z über Tiktok. Um es nicht wiederholen zu müssen, liest man die Gründe, warum an dem postkolonialem Narrativ zur jüdischen Übermacht alles falsch ist, in diesem vielgeteilten Artikel im Atlantik. Um der Idee einer westlichen, medial-jüdischen Verschwörung zu begegnen, kann man breit in vielen deutschen Mainstream-Medien lesen, die zurzeit sehr differenziert berichten, warum Israel und Palästina beide Existenzrechte besitzen. Juden als Kindsmörder, Kolonialisten oder „white supremacists“ zu bezeichnen, die „Apartheid“ verüben, ist jedoch Grund weg falsch. Auch wenn Netanyahus brutale und unfaire Siedlungspolitik zu verdammen ist, geht es hier nicht um rassistische Segregation. Dafür müssten Juden strukturell weltweit mehr Macht haben als Muslime. In diesem Fall hat die Regierung Israels mehr Macht als das Westjordanland und nutzt sie schamlos aus. Die Gleichzeitigkeit einer ständigen Bedrohung durch Hisbollah und Hamas, durch einen Jahrtausende alten Antisemitismus, muss trotzdem artikuliert werden. Das Wort “Apartheid” radiert dies aus.

 

Selbstverständlich braucht es hier diplomatischen Druck und neue Lösungen. Gerade heute, am Abend vom 9. November, dem Gedenktag an die Judenpogrome vor 85 Jahren, wünsche ich mir aber auch eine breite Front gegen dieses „Framing“.

 

Das Schweigen der Feminist:innen

 

Gerade, weil postkoloniales und feministisches Denken zusammengehört, gerade, weil wir deshalb zu falsch interpretierter postkolonialer Theorie aufschreien sollten, wünsche ich mir, dass die großen feministischen Accounts mehr jene Texte teilen, die Jud:innen in Schutz nehmen. Die das antisemitische Storytelling der radikalen Linken desmaskieren. Als Feminist:in mit großem Social-Media-Account hat man eine große Verantwortung und ich habe den Anspruch an jene, sich kompetent in eine aktuelle Debatte wie diese einschalten zu können. Wenn sich Luisa Neubauer für FFF Deutschland von FFF International abgrenzen muss und dies kompetent tut, sollten es auch queer-feministischen Initiativen gegen „Queers for Palastine“ tun. Warum? Weil es brennt. Die ersten Molotowcocktails fliegen schon.

 

Ja, Muslime haben in Deutschland von jeher Rassismus erfahren. Das müssen wir dringend weiter und laut und immer wieder aufdecken und dagegen angehen. Und ja, Juden erfahren gerade die größte Bedrohung in Deutschland seit dem Holocaust. Daran machen sich auch jene schuldig, die sich nicht klar gegen antisemitische Klischees abgrenzen, nur weil es dann vielleicht weniger Follower, Likes, Spenden oder mehr Shitstorms gibt. Das Teilen der guten Aufklärungstexte oder Slides von intersektionalen feministischen Aktivistinnen wie Düzen Tekkal, Beatrice Frasl und anderen, die sich sehr mutig positionieren und viel Hass dafür ernten, würde schon reichen. Es muss nicht viel sein, aber das Posten von Artikeln, die mehr Hintergrundwissen anbieten, wäre wichtig. Komplett zu schweigen ist gefährlich und falsch.

 

Bitte positioniert euch!

 

Was in Gaza passiert ist entsetzlich. Ich wünsche mir, wie viele andere, ein massives diplomatisches Einwirken, eine schnelle mit internationaler Hilfe aber palästinensisch geführte Kontrolle von Gaza, noch optimaler und naiver eine baldige Zweistaatenlösung. Ich wünsche mir auch weitere Proteste für Gaza, die jedoch die Befreiung von Gaza von Hamas und eine gerechte Zweistaatenlösung mitfordern. Ich wünsche mir aber genauso, dass antisemitische Hassparolen wie „From the River to the Sea“ benannt und kritisiert werden, ein Verständnis für den Schock Israels nach dem Pogrom der Hamas und vor allem Sicherheit für Jüdinnen und Juden in Deutschland.

 

Und ich wünsche mir außerdem mehr Mut in der deutschen, queer-feministischen Szene, sich gegen Antisemitismus auszusprechen. Nicht nur von mutigen Einzelpersonen, die es sehr wohl gibt, sondern auch von Organisationen.

 

Foto: Danke Chloe S / Unsplash!