Gendersprache braucht Zeit

Gendern ist die Zukunft. Auf jeden Fall ist es laut Statistiken eher die jüngere Generation in Deutschland, die gendert. Eine Generation, die sich intensiver als die Generationen vor ihr mit Sexismus befasst und sich mehr Gleichberechtigung wünscht. Laut Statista sind es zudem vorrangig Menschen mit gehobener Bildung, die den inklusiven Nutzen der Gendersprache erlesen oder verstanden haben und sie deshalb befürworten. Wenn wir davon ausgehen, dass die Themen Sexismus und Rassismus die jüngeren Generationen dank tiktok, BTS, Taylor Swift, Meghan & Harry, Fridays for Future, BTS (um nur einige wichtige popkulturelle Phänomene zu nennen) beschäftigen und Bildung über die nächsten Jahre nur besser werden kann, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Gendern wird kommen. Sicher auch ausgereifter und einheitlicher, als sie jetzt ist.

 

Es gibt aber viele Menschen – leider noch die Mehrheit in Deutschland – die sich mit dem neuen Glottisschlag schwertun, ihn hässlich finden oder ihrem über Jahrzehnte gewohnten Sprachgebrauch nachweinen und nicht missen möchten. Die wir deshalb mit guten, schnell verständlichen Argumenten mitnehmen müssen, bevor wir sie mit Doppelpunkt und Sternchen ansprechen. Es zieht schmerzlich in den Ohren, wenn eine Sabine Mertens von der Volksinitiative “Schluss mit der Gendersprache in Verwaltung und Bildung” erklärt, dass sie eine „Vertriebene aus ihrer Muttersprache“ ist. Das klingt nach völkischem Gedankengut, das noch immer den Verlust von Böhmen und Mähren betrauert. Leider haben Kommunen, die in offiziellen Dokumenten Sternchen oder Doppelpunkt benutzen, diese radikale Gegenwehr mit aufgebaut, vielleicht auch die Tatsache, dass der Widerstand gegen Gendersprache wächst. Wie immer vermisse ich eine klar Kampagnen- und Verkaufsstrategie im Vorgehen der eher linken Politik. Es war ungünstig, dass der Hamburger Senat gerade 2021 beschlossen hat, dass in Hamburger Behörden gegendert werden darf: Zu Coronamaßnahmen fordern alle „bloß keinen Flickenteppich“, aber bei Gendersprache „machen“ wir einfach? Auch, wenn viele Kommunen und der Bundestag Gendersprache erlauben, gibt es noch zu viele, die es nicht tun. Von knapp 300 Landkreisen und knapp 100 kreisfreien Städten haben nur 70 Doppelpunkt und Sternchen in der behördlichen Ansprache.

 

Die Volksabstimmung gegen das behördliche Gendern, die nun in Hamburg droht und von der CDU vorangetrieben wird, kommt nicht überraschend. Klar kann man fragen, ob die CDU keine anderen Probleme hat und sich diebisch freuen, dass diese Frage mal nicht an den Feminismus geht. Aber Gendersprache erregt die Gemüter, die CDU hat damit ein großartiges Thema, um sich zu profilieren. Und leider wurde ihr die Steilvorlage dafür von einer undurchdachten politischen Handlung gelegt. Der deutsche Rat für Rechtschreibung, der gemeinsam mit der Kulturministerkonferenz unseren deutschen Sprachgebrauch überwacht und unsere Sprachregeln dementsprechend in Abständen angleicht, ist eine grandiose demokratische Einrichtung. Man hätte ihm folgen sollen.

 

Der Rat ist nach dem großen, viele überfordernden Chaos der Rechtschreibreform 2004 gegründet worden. Wenn aktuell 65% der Menschen in Deutschland Gendersprache ablehnen, müssen wir politisch und kampagnenstrategisch daran arbeiten, diese Menschen für eine Akzeptanz des Genderns zu gewinnen. Menschen werden nicht öfter oder zunehmend gendern, nur weil Behörden es tun. Im Gegenteil, die plötzliche Wendung wird wütend machen. Gendersprache wird von Influencern, Celebrities, Jugendorganisationen, studentischen Gruppen oder auf Frauenempfängen vorangebracht, weil das Sternchen Widerstand bedeutet. Gendern hinterfragt den Status Quo. Sternchen sind eine Störung, die aufzeigen, wie patriarchal wir noch denken und sprechen. Ein patriarchal agierendes Land überzeugt man nicht mit einer Revolution. Meine Meinung ist daher: An Institutionen oder Behörden sollte deshalb (noch) nicht mit Sternchen oder Doppelpunkt gegendert werden (es gibt ja genug andere Möglichkeiten, zu gendern). Außer an privaten Schulen und Universitäten sollte auch kein „Genderzwang“ gelten. (Ich selbst habe noch nie einen solchen erlebt, aber es wird immer wieder davon berichtet.) Selbstredend würde auch ich lieber in einem Land leben, in dem Gendern kein Thema mehr wäre und wir es alle lässig tun – am liebsten mit einer schlauen, allgemein verständlichen Version. Aber ich halte überhaupt nichts von Regeln, die umstürzen, zu einer Zeit, in der Antifeminismus dramatisch und rasant steigt.

 

Viel sinnvoller wäre es gewesen, wenn die Grünen geklagt hätten. Marlies Krämer verlor 2018 ihre Klage gegen den Bundesgerichtshof, eine männliche Form auf Formularen würde sie ausschließen, weil das generische Maskulinum den Richtern nach inklusiv sei und auch Frauen mit meine. Kann aber ein generisches Maskulinum intersexuelle Menschen mitdenken? Für diese wurden Sternchen und Doppelpunkt zunächst erdacht. Diese Frage ist noch nicht richterlich eruiert worden und hätte viel mehr Potenzial, eine verständliche Basis für die Aufnahme von Doppelpunkt oder Sternchen in unsere Sprache zu bilden. Ich würde mir sehr wünschen, eine feministische Organisation würde diese Klage anstreben.

 

Mit Gendersprache in Behörden vorzupreschen, bevor wir die Bevölkerung mitgenommen haben, ist ungünstig. Anders würde ich es für Medien raten. Privatwirtschaftliche Medien können zum Glück eh machen, was sie wollen. Doch auch in den öffentlich-rechtlichen Medien arbeiten eigenständige Menschen als Journalist*innen. Wenn diese mal gendern oder mal nicht, zeigt uns das als Zuschauer*in der Tagesschau doch nur, dass keine Meldung je rein objektiv sein kann. Sie war es nie und wird es nie sein. Wichtig ist nur, dass alle Meinungen – und deshalb auch TV-Nachrichtensprecher, die nicht gendern – vertreten sind. Einen Zwang zu Gendern darf es in den öffentlich-rechtlichen Medien selbstredend nicht geben, bis Gendersprache weitläufig gesprochen wird. Wenn die Tagesschau auf Instagram oder tiktok, wo sie eine jüngere, gebildete Zielgruppe mit Doppelpunkt anspricht, übrigens aufhören würde zu gendern, würde sie wohl sehr viele User verlieren. Das kann kein Anliegen einer älteren Generation sein, die sich eine informierte Jugend wünschen sollte. Vermittelt genau dies der älteren Generation, aber um Gottes Willen, stülpt ihnen nichts über. Volksinitiativen unterschreiben können die nämlich alle noch. Gendern, da bin ich sicher, wird eh kommen. Ich plädiere für Geduld und besseres Marketing.

 

Foto: Thankyou Leonardo Toshiro Okubo / Unsplash