FREIHEIT FÜR EVA

Seit Eva im Paradies in den verbotenen Apfel biss, sind weibliche Wesen einfach immer schuld. Als wären sie zu doof. Sie lassen sich schwängern, obwohl sie kein Kind wollen. Sie haben Sex, obwohl ein Kondom auch mal reißen kann. Sie sind sich zu fein, die Pille zu nehmen, wegen der paar Depressionen, die sie auslösen. Sie ziehen kurze Röcke an und betören den Kerl, so dass er nicht mehr weiß, was er tut. Ja, dann hat er eben gesagt, dass er „aufpassen“ würde! Sagen kann man viel: Das ist doch nicht seine Verantwortung, das mit der Verhütung! (Soll er jetzt die Pille nehmen, oder was?) Und wenn sie dann noch schwanger wird, aus eigener Schuld, will sie noch nicht mal das Kind austragen?

 

„Zum Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung gehört auch, eigenverantwortlich dafür Sorge zu tragen, dass sie nicht schwanger wird, wenn sie das nicht will!“ polterte AfD-Politiker Thomas Seitz diesen Freitag im Bundestag. Am Tag, als Roe vs. Wade in den USA Geschichte wurde. So oder ähnlich wurden viele Frauen das gesamte Wochenende getriggert mit der Botschaft: „Schämt euch!“. Alle, die abgetrieben haben, sollten sich schämen. Alle, die es tun wollen, sollten sich schämen. Wer das „ungeborene Leben“ nicht austrägt, sollte sich schämen. Wer in den Apfel beißt und nur an sich denkt, sollte sich schämen: Der arme Adam! Wie kann sie nur?

 

Beschämung ist von jeher die Waffe der Mächtigen. Sie ist eine grandiose Waffe, die viele Frauen und Menschen, die eine Schwangerschaft abbrechen mussten, verstummen und zu Boden schauen lässt. Frauen, die „Pro Life“ unterstützen, wollen nicht zu diesen “Schuldigen” gehören. Ihr biblisches Vorbild ist die reine Maria, nicht die „Hure“ Maria Magdalena. Sie wollen nicht verführt werden oder verführen, wie die böse Eva – und schon gar keine so dramatische, folgenschwere “Dummheit” begehen wie sie. Gerade die klerikale Rechte in den USA hat dieses Zerrbild mitgezeichnet.

 

Was aber, wenn Eva mit dem Biss in den Apfel der Menschheit einen riesigen Gefallen getan hat – vor allem Adam? Was, wenn es stinklangweilig geworden wäre im Paradies? Wo wäre das Wissen hergekommen, ohne Evas Neugier, wie der Apfel wohl schmecken könnte? Woher der Fortschritt? Woher Freude, ohne die Trauer über den Verlust des Paradieses, und woher Selbstständigkeit, ohne sich selbst etwas erschaffen zu müssen?

 

In der Entstehungsgeschichte der Bibel war Eva der erste Mensch, der Verantwortung trug. Sie wusste nicht, ob sie den Biss in den Apfel bereuen würde, ob sie ihn überleben würde, ob sie nicht den größten Fehler ihres Lebens beging. Aber sie wusste, dass sie diesen Schritt gehen musste. Sie wusste, dass sie sich verändern würde. Ich wünschte wir könnten die große Schuld, die uns ständig zugeschrieben wird, überall laut als das entlarven, was sie ist: Eine Kriegswaffe, mit der wir Frauen und Menschen mit Uterus klein und ängstlich gehalten werden sollen, verfügbar, kontrollierbar und als Eigentum des Mannes in Schach gehalten.

 

Wer eine Schwangerschaft abbricht, trägt keine Schuld, sondern verantwortungsvoll eine oft sauschwere aber wohlüberlegte Entscheidung. Diese Menschen gehören unterstützt und liebevoll umsorgt. Vor allem gehören sie geachtet – für die große Verantwortung, die sie ganz alleine tragen.

 

(Nachtrag, Dezember 2022: Der Shock über #roewadeoverturned ist noch immer nicht verdaut. Nach meinem etwas dramatischen Rant vom Juni möchte ich allen diesen sehr viel differenzierteren Text von Antje Schrupp empfehlen, der eigentlich alles enthält, was wichtig ist: §218 muss weg.)

 

Foto: Dainis Graveris / Unsplash – Thank you!