Der Ausverkauf der Wechseljahre

Liebe Alle, ich check’s nicht: Lest ihr irgendwo, bis wann man die bioidentischen Hormone, die Medien und Medizin ab den Wechseljahren empfehlen, nehmen soll? „Ach, die kann man bis an sein Lebensende nehmen“, sagten mir verschiedene Gynökologinnen. „Die haben gar keine Nebenwirkungen“. Aber, momentmal: „Es gibt dazu keine Langzeitstudien“, warnt Clara Wildenrath, Diplom-Biologin und Wissenschaftsjournalistin, die den schlauen Blog „Wechselleben“ betreibt. Sie spricht mir sehr aus dem Herzen. Ich finde nämlich auch keine.

 

Wenn man Sheila de Liz („Woman on Fire“) und vielen anderen Menopause-Aktivistinnen glauben möchte, die kürzlich von Dorothee Bär (CSU) nach Berlin zum „Oh Meno!“-Kongress eingeladen wurden, ist unser Leben ab 47 quasi zu Ende, wenn wir keine bioidentischen Hormone schmieren oder schlucken. Bröselige Knochen, keine Kraft, Demenz und Schlaganfälle werden die Folge sein. Womöglich sogar, irgendwann: Tod. Oh je, das will ja niemand. Und Falten! OMG, Falten!

 

Alte Frauen gibt es viel zu selten in der Werbung: Danke, Meßmer! (April 2023)

 

Ich mach mich nicht lustig über jene, die viel zu früh sterben. Aber älter werden und sterben müssen wir alle. Wir reden davon zwar zu wenig in unserer schnellen, bunten Insta-Tiktok-Welt, wo es ja dank Beauty-Filter nur strahlend junge Menschen gibt. Aber das Leben ist tatsächlich endlich. Unsere jugendliche Kraft leider auch. Als mein Zyklus unregelmäßig wurde, sagte eine Ärztin zu mir: „Wenn Sie jetzt nicht Hormone nehmen, ist ihr jetziges Leben vorbei.“ Ich wusste genau, was sie meinte. Mein Selbstversuch ohne Hormone zeigte mir: Am besten fühle ich mich, wenn ich gar nichts tue. Aussteige. Im Urlaub bin.

 

Wenn ich gesund esse (vor allem null Zucker, Milchprodukte, Gluten und Alkohol), viel spazieren gehe, lese, mit Lieblingsmenschen lache, regelmäßig kreativ bin oder in der Natur, schwitze ich nicht. Ich habe keinen “Brainfog”, keine Gelenkschmerzen, kann gemäßigt Sport machen ohne vor Erschöpfung zu heulen, schlafe durch und bin richtig gut drauf. Etwas gelangweilt vielleicht, weil mir das Turbo-Adrenalin eines vollen Arbeitstags fehlt, aber eigentlich ziemlich happy. Klingt ein bisschen wie eine milde Omi mit Strickzeug und Dutt aus dem Märchen Frau Holle. Mit roten Bäckchen, weil sie tatsächlich ab und zu noch Sex hat. Geht alles.

 

Wie sollen wir ohne Hormone für den Arbeitsmarkt produktiv bleiben?

 

Nur – wie soll ich in dieser tiefentspannten Form dann für den Arbeitsmarkt produktiv bleiben? Also den Arbeitsmarkt, wie er heute existiert? Komplett digitalisiert, irre schnell, ständig posten, up-to-date sein, alles lesen, überall mitreden, in diesem Tempo bis 67? Wie geht das in Vollzeit und dabei gleichzeitig sein Melatonin aufbauen, Cortisol tief halten, Dopamin bilden und sich um gesunde Knochen (mit Gewichten, wenig Stress, viel grünem Gemüse und Tageslicht) kümmern? Eben, es geht nicht. Deshalb kippen die erfolgreichen Frauen um mich herum auch um wie die Fliegen. Trotz grünen Smoothies, Ashwaghanda, Personal Trainer und 3x 5 Minuten Meditation am Tag. Meistens geht es ihnen dann mit bioidentischen Hormonen wirklich besser. Und nun?

 

Ich bin froh, dass es heute großartige Wechseljahrsaufklärung gibt, die auf Ernährung, Detox und Bewegung setzt. Aber was wir darüber hinaus dringend brauchen, ist die Debatte, wie ein Turbo-Kapitalismus, der von und für Männer gemacht ist, sich so verändern kann, dass Frauen ab 47 mit Hormonspiegeln im Sinkflug auch ohne Hormonersatz genug verdienen können. Und ich meine alle Frauen und Menschen mit Uterus, nicht nur die wenigen in den Vorstandstagen, oder jene, die vielleicht das Glück haben zu dem Drittel zu gehören, das ohne große Probleme durch den Wechsel rauscht. Da reicht es nicht aus, dass die Schulmedizin sich über bioidentische Hormone in Berlin weiterbildet oder die CSU Big Pharma dazu einlädt.

 

Ich sehne mich nach Menopause-Aktivistinnen, die mehr fordern. Zum Beispiel Altersteilzeit bei gleichem Gehalt. Oder Kongresse, auf denen wir debattieren, wie die Wechseljahrs-Krise mit der Klimakrise zusammenhängt. (Spoiler: Beide zeigen, dass unser auf ständiges Wachstum basierendes Wirtschaftssystem ausgedient hat). Denn wie man es dreht und wendet: Wir Frauen um und ab 50 haben zu viel Kompetenz aufgebaut und sind viel zu viele, als dass man ohne uns weiter machen kann, wie bisher.

 

Schreibt mir gerne auf Instagram einen Kommentar, wenn ihr mehr zum Thema lesen wollt! Nur bitte keine Tipps, dass ich ja um 6h aufstehen kann, um vor der Arbeit schon mal Yoga zu machen oder ins Gym zu gehen. Das haben wir “Powerfrauen” doch schon viel zu lange mitgemacht.<3

Foto: Danke an Towfiqu barbhuiya auf Unsplash!