Wie geht es eigentlich Thilo Mischke?
Entschuldigt, dass ich an einen Fall erinnere, der in unserer schnelllebigen Instagram-welt gefühlt doch schon wieder Jahre her ist (vier Wochen). Es geht um den Eklat um die Personalie Thilo Mischke als neuer titel-thesen-temperamente-Moderator (ARD), der nach einem Shitstorm von verschiedenen Akteurinnen diesen Posten nicht antreten durfte. In der Medien-interessierten oder feministischen Welt meldete sich das gesamte Dorf zwei Wochen lang dazu zu Wort und zack – war der Spuk vorüber. Niemand redet mehr über die „Causa Mischke“. Auch nicht darüber, warum man von Thilo selbst nichts hört.
Daran zu erinnern, dass es sich bei dieser irritierenden Schweigsamkeit um einen Menschen handelt, um den man sich vielleicht Sorgen machen muss, ist eigentlich schon schwerstes Vergehen in Femiland: Ich riskiere, sofort als seine Anwältin und damit in die Reihen von Don Alfonso, Harald Martenstein oder Jan Fleischauer eingereiht zu werden, von deren politisch polarisierenden Texten ich absolut nichts halte. Leider scheint man heute nur noch eins sein zu können: Dafür oder dagegen.
Als ich das erste Mal von diesem medialen Aufreger hörte, seufzte ich. In einer Zeit, in der zu viele konservative Menschen die öffentlich-rechtlichen Sender als zu „woke“ empfinden und daher die Abschaffung des Rundfunkbeitrags fordern, hätte ich nichts gegen einen etwas eitlen, sich etwas zu gerne selbst reden hörenden Redakteur, der eher rechtsgewandte Herren des Landes zum Sehen und Hören eines hochwertigen Kulturfernsehen-Formats einlädt. Ich kannte Thilo Mischke nicht, aber erste Recherchen präsentierten mir eine Person, die mir nicht sonderlich sympathisch, aber auch nicht inkompetent und schon gar nicht als unbelehrbarer Sexist erschien.
„Aber Stevie, wie soll denn so einer den Fall Gisèle Pelicot sensibel und kompetent besprechen, wenn das erste Buch dazu draußen ist, ich bitte dich!“, sagte ein alter Freund aus alten Aktivistenzeiten. „Wieso sollte er das nicht können?“, fragte ich zurück. Und vielleicht würden gerade jene eher hinhören, die sich eher mit einem nicht immer politisch top korrekten Mann identifizieren könnten?
In meinem Umfeld haben sich viele Menschen, die noch vor einigen Jahren sexistische Sprüche rausgehauen haben, enorm verändert: Durch lobenswerte Texte, Kampagnen und Aufklärungsaktionen wie auch den „Feminist Shelf Control“ – Podcast, der den Stein zur Causa Mischke ins Rollen brachte, ist viel passiert. Menschen ändern sich, Menschen lernen, manche sehr schnell. Auch Jule Lobo, die mit Mischke den Podcast zu ttt hätte moderieren sollen, wundert sich in ihrer aktuellen Podcastfolge mit ihrem Mann Sascha Lobo, warum es so böse werden, warum man gleich in einer Petition Thilos Absetzung fordern musste. Die akribische Recherche der Redakteurinnen, die den Empörungsrausch auslöste, hätte ausreichen können, um Mischke klar zu machen, dass er in Sachen politischer Korrektheit noch ein paar Hausaufgaben aufhat. Warum musste man ihn gleich aus dem Verkehr ziehen? Die Lobos kritisieren eine tugendsüchtige Meute, die keine Fehlerkultur zulässt und von denen einzelne auch sie selbst obsessiv kritisieren. Warum? Vielleicht, weil es (Jule Lobo ist Journalistin, aber auch bekannte Lifestyle-Influencerin) hochbegehrte Empörungs- Likes macht. Ist das noch der Feminismus, den wir wollen?
Ich bin dankbar, dass ich meine Meinung hier aufschreiben darf, ohne mich gleich wieder öffentlich entschuldigen zu müssen, weil durch meine Meinung und ein dadurch ausgelöster Shitstorm vielleicht Arbeitsplätze gefährdet werden könnten. Ich bin auch froh, nicht mehr ausschließlich in der feministischen Szene Deutschlands zu arbeiten, denn jede abweichende Meinung wird dort mit einer Art Massenmobbing bestraft. Ich bin froh, differenzierte Meinungen bilden und aussprechen zu dürfen, ohne sanktioniert zu werden. Es macht mir aber Angst, dass die ARD nicht so unabhängig ist. Dass sie dermaßen panisch reagierte und sich dem Druck einer lauten und Follower-zahlen-starker Minderheit beugte. Ja, Mischke hat einen Roman geschrieben, der Frauen objektifizierte und einen beknackt-sexistischen Titel trug. Ja, er hat noch vor kurzem Dinge gesagt, die man so nicht stehen lassen kann. Damit ist er in den Medien, auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen aber wahrlich nicht alleine.
Wenn wir nicht aushalten können, dass Menschen im Deutschen Fernsehen arbeiten, die nicht komplett auf unserer Linie sind, müssen wir uns nicht wundern, wenn konservative und rechtsgerichtete Menschen nicht mehr einschalten und für dieses Fernsehen nicht mehr bezahlen wollen. Wir müssen wieder lernen, Meinungsvielfalt auszuhalten, damit wir im zugwandten Gespräch mit Andersdenkenden bleiben können. Alles andere, das müsste eigentlich jede Feministin verstanden haben, geht aktuell nach hinten los. Wir Wokies sind eine minikleine Blase die gut aufpassen muss, dass wir das Feuer, das gerade brennt, nicht selbst weiter anfachen. Und dazu gehört, dass wir nicht jedes Mal „Wolf“ schreien, wenn eigentlich ein „Moa, der gefällt mir nicht so“ hätte ausreichen können.